Mit der derzeitigen Planungs- und Genehmigungspraxis lassen sich ambitionierte Ausbau- und Modernisierungsziele in den Sektoren Industrie, Energie und Mobilität nicht erreichen. Die Verfahrens-beschleunigung ist neben der verlässlichen Finanzierung notwendiger Infrastrukturvorhaben daher ein wesentlicher Pfeiler auf dem Weg in eine dekarbonisierte Industrie. Auch die Unternehmen müssen ihre Betriebe für die Energiewende, die Digitalisierung und den demografischen Wandel neu ausrichten. Dazu werden Investitionen in Infrastruktur und Industrieanlagen notwendig, die in Zahl und Umfang bisherige Entwicklungen um ein Vielfaches übersteigen. Um diese Herausforderungen erfolgreich meistern zu können, brauchen auch Unternehmen und Infrastrukturbetreiber schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Im Folgenden werden mögliche und notwendige Maßnahmen auf nationaler Ebene beschrieben, die sich als konstruktive Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung verstehen. Von entscheidender Bedeutung wird aber auch die rechtssichere Ausgestaltung des EU-Rechtes sein. Im Rahmen der unten beschriebenen Verfahren wird im Wesentlichen europäisches Umweltrecht geprüft. Die diesen Prüfungen zu Grunde liegenden Richtlinien erfordern langwierige Vorbereitungen und Studien durch die Vorhabenträger. Eine Modernisierung nationaler Planungs- und Genehmigungsverfahren muss somit zusammengedacht werden mit einem europäischen Austausch zu einem entsprechenden EU-Rechtsrahmen (europäisches Umweltrecht).
1. Planung von Infrastrukturvorhaben stärker koordinieren und priorisieren
Um den Standort Deutschland und die Beschäftigung dauerhaft zu sichern, sollte die Beschleunigung von Planungsverfahren als Bestandteil einer aktiven Industrie‑, Energie- und Strukturpolitik verstanden werden. Die vorhandenen Planungskapazitäten werden bislang insgesamt relativ ineffizient genutzt. Zu viele Infrastrukturprojekte (z. B. Ausbau Verkehrswege und Stromtrassen) werden als dringlich eingestuft, ohne den Projektnutzen konsequent zu evaluieren. Zu viele Investitionsmittel und Planungskapazitäten bei Infrastrukturvorhaben werden nach regionalen Quoten verteilt, ohne den ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesamtnutzen angemessen zu berücksichtigen.
2. Langfristige Finanzierung und Planung sicherstellen
Die Finanzierung der erforderlichen Infrastruktur und Investitionen sollten längerfristig abgesichert werden. Dies gilt für alle Baulastträger gleichermaßen. Nur dann werden die erforderlichen personellen Kapazitäten geschaffen und sehen junge Menschen in diesem Bereich eine berufliche Perspektive.
3. Digitalisierung vorantreiben
Die zügige und umfassende Digitalisierung der Verwaltungsverfahren wird zur Beschleunigung von Verfahren erheblich beitragen. Bisher analoge Verwaltungsverfahren sollten zügig und umfassend digitalisiert und die Behörden angemessen mit modernster IT ausgestattet werden. Entscheidend für den Erfolg und Voraussetzung einer tiefgreifenden Verwaltungsmodernisierung ist die Schaffung we-sentlicher Grundlagen für eine vollständig digitale Abwicklung der Prozesse zwischen Verwaltungen und Akteuren. Dazu zählen ein voll einsatzfähiges und bundesweit einheitliches Unternehmenskonto für die Authentifizierung, die zügige Modernisierung der Registerlandschaft für die Verwirklichung des Grundsatzes der einmaligen Datenerfassung (Once-Only-Prinzip), die konsequente Ausrichtung von Gesetzen auf einen digitalen Vollzug, die Reduzierung bestehender Schriftformerfordernisse mit-tels Generalklausel sowie die strukturelle und kontinuierliche Einbindung von allen Akteuren (z. B. Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden).
Notwendig für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sind darüber hinaus die Entwicklung bundeseinheitlicher und umfassender Genehmigungsportale und offener Software-Schnittstellen, eine transparente Einreichung von Antragsunterlagen in digitaler Form, der Aufbau einer aktuellen und umfangreichen Plattform für Daten zur Infrastruktur, Geologie und Umwelt und der umfassende Schutz sensibler Unternehmensdaten, der sowohl Industriespionage sowie Cybergefahren im Blick hat.
Sinnvoll wäre auch die Einrichtung einer zentralen digitalen Wissensplattform für Fragen des Umwelt‑, Natur- und Artenschutzes. Umwelt- und artenschutzrelevante Untersuchungen und Entscheidungen sollten nicht für jedes einzelne Verfahren neu erhoben werden müssen, sondern gesammelt allen beteiligten Vorhabensträgern, Behörden sowie Bürgerinnen und Bürgern zugänglich gemacht werden.
Prüf- und Genehmigungsverfahren sollten zudem durch nicht-digitale, organisatorische Reformmaß-nahmen verkürzt werden (u. a. klare und standardisierte Vorgaben zur Vollständigkeit von Antragsunterlagen, klare Fristsetzungen bei Antragstellung und Beteiligung, eine Einigung auf unabhängige Fachgutachterinnen/-gutachter sowie ein transparentes Verfahrensmonitoring). Soweit es zu Klagen kommt, könnte darüber hinaus eine effizientere Organisation und Führung von Gerichtsverfahren zu insgesamt kürzeren Projekt- bzw. Umsetzungszeiten führen (z. B. Verpflichtung zu einer vorläufigen Schwerpunktsetzung vor Gericht).
Die begrüßenswerte Digitalisierung von Planungs- und Bauvorhaben stellt gleichwohl vielen kleineren Handwerksbetrieben und KMU eine nicht unerhebliche Zugangshürde. Hier sollten Beratungs- und Qualifizierungsangebote geschaffen werden. Diese müssen auch den Bereich Kennzeichnung von Be-triebs- und Geschäftsgeheimnissen, Abwehr von Cyberrisiken und Industriespionage im Sinne eines umfassenden Wirtschaftsschutzes umfassen.
4. Personal in Verwaltung und Gerichten stärken
Bei steigender Zahl und Komplexität der Verfahren sind sowohl Deutschlands Gerichte als auch Genehmigungs- und Fachbehörden oft unterbesetzt. Um Prüfungen und Entscheidungen schneller treffen zu können, muss Personal entsprechend aufgestockt werden. Gleichzeitig sind die Beschäftigten kontinuierlich weiterzubilden.
Gerade auf kommunaler Ebene sollte durch geeignete Maßnahmen die Finanzierung eigener Planungs- und Genehmigungskapazitäten ermöglicht werden. Das ist häufig eine wesentliche Voraussetzung für lokale Investitionsoffensiven. Die verantwortlichen Behörden in Ländern und Gemeinden könnten bei besonderen Projekten innovative Modelle nutzen und beispielsweise in Abstimmung mit den Projektträgern durch externe Projektmanagerinnen/-manager und behördenübergreifende Pools von Expertinnen/Experten mit (Groß-)Projekterfahrung nach Bedarf flexibel unterstützt werden.
5. Fristsetzungen rechtssicher regeln
Klare Fristsetzungen – auch für Planungsverfahren – und rechtssichere Vorgaben zur Vollständigkeit von Antragsunterlagen sind unumgänglich. Zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens ist geregelt, dass die Genehmigungsbehörde den zu beteiligenden Behörden eine Monatsfrist zur Stellungnahme gewähren soll. Es bedarf aber einer Konkretisierung des Gesetzes: Sollte eine beteiligte Behörde die Frist nicht einhalten, soll die Genehmigungsbehörde davon ausgehen, dass eine Äußerung der Fachbehörde nicht erfolgt. Voraussetzung sind hinreichende personelle Kapazitäten in den zu beteiligenden Behörden.
6. Öffentlichkeitsbeteiligung weiterentwickeln
Eine verbindliche, möglichst frühe, der konkreten Planung vorgeschaltete und Alternativen berücksichtigende Öffentlichkeitsbeteiligung bei Groß- oder Infrastrukturprojekten kann mögliche Bedenken von Bürgerinnen und Bürgern sowie Zivilgesellschaft adressieren. Zusammen mit weiteren, projektbegleitenden, auch digitalen Dialogformaten kann dies die Veranlassung, Rechtsmittel einzulegen, reduzieren und einen eskalierenden, teuren Verzögerungsprozess vor Gericht vermeiden. In Ver-bindung mit einer verbesserten Planungsqualität inkl. Alternativplanungen sollte damit angestrebt werden, die gesellschaftliche Akzeptanz für zentrale Klimaschutz- und Transformationsvorhaben wei-ter zu stärken.
Für Betroffene und Beteiligte ist häufig nicht nachvollziehbar, ob und wann es wichtig ist, die eigenen Belange in einem Verfahren einzubringen. Vor diesem Hintergrund ist die Einrichtung einer zentralen Evaluationsstelle zur Beurteilung von Beteiligungsverfahren und Planungsbegleitung zu prüfen, ebenso die Übersetzung in standardisierte Prozessabläufe auf Basis einer Best-Practice-Datenbank.
Um Dopplungen zu vermeiden, sollte die Öffentlichkeit in einem integrierten Hauptsacheverfahren möglichst frühzeitig, aber nicht mehrmals beteiligt werden. Damit Öffentlichkeitsbeteiligungen bei Planänderungen nicht jedes Mal vollständig neu durchgeführt werden müssen, sollten Einwände nur gegen die Planänderung oder von neu Betroffenen berücksichtigt werden.
7. Verfahrensstufen reduzieren und verzahnen
Mehrstufige Verfahrensschritte vieler Planungsverfahren nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Dabei kommt es zu wiederkehrenden Prüfungsschritten und Öffentlichkeitsbeteiligungen. Raumordnungs-verfahren (ROV) sind Abstimmungsverfahren eigener Art und nehmen eine Vorprüfung des Vorha-bens unter Beteiligung der Öffentlichkeit vor.
Zugleich sollten mehrfache bzw. doppelte Beteiligungsschleifen und Prüfungen durch unnötig viele Planungsebenen bestmöglich vermieden werden – etwa durch eine engere Verzahnung von Raum-ordnungs- und Planfeststellungsverfahren, ob durch Zusammenfassung von Planungsstufen und In-tegration von Raumordnungsverfahren in Planfeststellungsverfahren oder eine breitere Anwendung des vertikalen und horizontalen Abschichtungsprinzips.
Dort, wo es lediglich um den Ersatz, die Sanierung, Unterhaltung, Erneuerung oder Ergänzung bereits bestehender Anlagen, wie beispielsweise Brücken oder Bahnsteige, und damit um unwesentliche Änderungen geht, sollte auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden. Das Instrument der Plangenehmigung für Vorhaben, für das keine Öffentlichkeitsbeteiligung oder Umweltprüfung notwendig wird, sollte für entsprechende Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen erweitert werden können. Mögliche Instanzenverkürzungen sind zu prüfen. Bei industriellen Groß-vorhaben mit überregionaler Relevanz ist eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte zu prüfen. Um Doppel- und Mehrfachprüfungen für Gewerbe- und Industrieansiedlungen zu vermeiden, ist ein Verfahren einzuführen, in dem das Bauleitplanverfahren und die integrierte Zulas-sungsentscheidung zusammengefasst werden können.
8. Rechtsunsicherheiten reduzieren – Standardisierungspotenziale prüfen
Das Umweltrecht ist geprägt von unbestimmten Rechtsbegriffen, also wertoffenen Begriffen. Diese bergen ein hohes Maß an Rechtsunsicherheiten und führen zu stark verzögerten Antrags- und Prüfverfahren und erheblichen Risiken für langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen. Es fehlt in vielen Bereichen an Regelungsschärfe der maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen. Diese gilt es zu überprüfen.
In Verfahren treten immer wieder ähnliche rechtliche Fragestellungen auf, insbesondere zum Fach-beitrag Verschlechterung von Gewässern, zu Habitatschutz, Artenschutz, Ausgangszustandsbericht, Lärmschutz und Brandschutz. Der Gesetzgeber sollte für klare, praktikable und rechtsverbindliche Maßstäbe sorgen. Optionen zur einfacheren Handhabung und nationalen Umsetzung des europäischen Umweltrechts und sowie zur entsprechenden Festlegung bundeseinheitlicher Standards sind unter Beteiligung aller Stakeholder prüfen.
9. Verwaltung entlasten
Antragsunterlagen müssen bis zum Zeitpunkt der Genehmigung, also der Erteilung des Bescheides, aktuell gehalten werden. Ändern sich im Zuge des Verfahrens die gesetzlichen Vorgaben, muss nach-gebessert werden. Eine Stichtagsregelung könnte auf den Zeitpunkt der Erklärung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen gelegt werden und damit das zeitaufwendige Nachreichen von Unterlagen aufgrund von Rechtsänderungen verhindern. Hierdurch würden auch sich ggf. aus den Änderungen ergebende Neuauslegungen der Unterlagen aus rechtsformalen Gründen vermieden.